Der vorliegende Aufsatz setzt sich mit dem Zusammenhang von Wirtschaft und Krieg auseinander. Ausgehend vom Fallbeispiel Kosovo wird aufgezeigt, wie Kriege – auch humanitäre Interventionen – zur Verfolgung wirtschaftlicher Ziele dienen, die auf gewaltfreiem Weg nicht erreichbar sind.
Der Angriff Jugoslawiens durch die NATO 1999 schuf eine veränderte Rechtsgrundlage im Kosovo auf der Basis des Rechts des Stärkeren, wodurch Firmen und Kapital unter Wert an ausländische, multinationale Konzerne verkauft werden konnten. Formal geschah dies unter der Jurisdiktion der UN-Verwaltung UNMIK und wurde nach deren Ablösung von der EU ebenso wie von der kosovo-albanischen Regierung weitergeführt. Anstatt die marode kosovarische Wirtschaft durch Anschubfinanzierung anzukurbeln und Eigeninitiativen zu stärken, wurde aus der wirtschaftlichen Rückständigkeit des Bodenschatz reichen Gebiets Profit geschlagen, der nicht der kosovarischen Bevölkerung, sondern internationalen Konzernen zugute kommt. Dies steht im Widerspruch zur westlichen Intervention, die mit dem Schutz von Menschenrechten legitimiert worden war.
Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit
Kosovo, eine der wirtschaftlich ärmsten Regionen Europas, weist eine Arbeitslosigkeit von rund 50 Prozent auf. Nach Angaben der Weltbank leben 37 Prozent der Menschen mit einem Einkommen von weniger als zwei Dollar pro Tag unterhalb der Armutsgrenze, 15 Prozent gar unterhalb der Grenze extremer Armut. Bedingt durch den Zerfall des jugoslawischen Wirtschaftsraumes im Zuge der Bürgerkriege, durch die internationalen Sanktionen und mangelndem Zugang zu auswärtigen Märkten und Finanzen halbierte sich die wirtschaftliche Produktivität der Provinz in den frühen 1990er Jahren. 1998/99 erfolgte als Folge des Bürgerkriegs ein weiterer Rückgang von 20 Prozent auf bereits schon sehr niedrigen Niveau. Humanitäre Absichten hinter einem Krieg, welche die NATO 1999 für ihre Intervention geltend gemacht hatte, müssten vor diesem Hintergrund u. a. auf eine Stärkung der Ökonomie und der Einkommen abzielen. Die Wirtschaftspolitik der UNO-Verwaltung ab Juni 1999 sah jedoch eher das Gegenteil vor: Die Enteignungen und Privatisierungen der ehemaligen Staats- oder Provinzbetriebe, in Arbeiterselbstverwaltung geführt, wurden an reiche Investoren aus dem Ausland zu Dumpingpreisen veräußert, Gemeinschaftseigentum einzelnen übertragen. Die großen Verlierer sind die kosovo-albanischen Arbeiter. Dabei waren und sind Investitionen in die vielfach maroden Betriebe absolut notwendig[1. Vgl. dazu die Aussagen des Principal International Officer im Department of Trade and Industry der UNMIK, Tim O’Neill, Industry-Privatization: In UNMIK’s sights, zit. nach www.unmikonline.org/pub/focuskos/focuskeco2.htm, update 30. August 2008.], strittig bleibt einzig das Wie. Während Arbeiter und Gewerkschaften zum Teil eigenständige Pläne vorlegten, wie ein Betrieb durch Anschubfinanzierung wieder konkurrenzfähig gemacht werden könnte, verfolgte die UNMIK die Privatisierungsstrategie. Ziel war nicht, den Arbeitern zu helfen, sondern Profit aus der desolaten Wirtschaftslage zu schlagen. Die folgenden Beispiele sollen diese These verdeutlichen.
UNMIK-Privatisierungspraxis
Gründe für die Armut des Kosovo sind das wirtschaftlich desaströse Erbe Jugoslawiens, hohe Kriminalität und Korruption und nicht zuletzt die Privatisierungspraxis der UNMIK. Durch diese wurden Betriebe zu Schleuderpreisen an ausländische Eigentümer verkauft. So erfuhr ich im April 2007 auf meiner Kosovo-Reise beim Besuch einer der größten Weinkellereien Europas in Orahovac, dass die vormals im Besitz der Provinz gewesene Kellerei 2006 mitsamt den dazugehörenden 2 200 Hektar Land inzwischen privatisiert worden war. Sie war für den auch angesichts niedrigerer Lebenserhaltungskosten im Kosovo (ca. ein Drittel vom westeuropäischen Durchschnitt) extrem niedrigen Preis von ca. 5,5 Millionen Euro an einen US-Albaner verkauft worden. Die albanischen Bauern, einst über das Gesetz der Arbeiterselbstverwaltung Miteigentümer der Felder und der Kellerei, sind inzwischen Niedrig-Lohn-Arbeiter. Die UNMIK hat für die Enteignungen von Betrieben im Kosovo, egal ob sie dem Staat Serbien oder der Provinz gehören, ihre eigenen Gesetze. Bei der Privatisierung bedient sie sich jedoch eines jugoslawischen aus der Zeit der Milošević-Regierung. Es machte die Arbeiter als Besitzer eines Betriebes zu Aktionären mit einem maximalen Anteil von 20 Prozent am Aktienpaket. Bei einer Privatisierung erhalten sie nun diesen Teil. Der große Rest verlässt die Provinz und geht an internationale Investoren, welche bereits unter Milošević Anteile gekauft hatten[2. Max Brym, Kosova: Protektorat-Kolonie und neoliberales El Dorado, 26. April 2007, zit. nach www.sozialismus.info/?sid=2085, update 10. Juni 2010.]. Der deutsche Ex-Bürgermeister von Sindelfingen, Joachim Rücker, hat als Wirtschaftsminister der UNMIK und zwischen 2004 und 2006 zuständig für Privatisierungen, dies damit gerechtfertigt, dass dies ja »das jugoslawische Modell des Sozialismus, wo die Unternehmen der Arbeiterschaft gehörten«[3. Adelheid Feilcke-Tiemann, »Die Privatisierung im Kosovo kommt voran«. Interview mit Joachim Rücker in der Deutschen Welle, 11. April 2005, zit. auf der Homepage der Deutschen Welle unter www.dw-world.de, update 20. Juni 2007.], gewesen sei. Zwangsenteignungen gab es im Kosovo dabei nicht nur, wenn die Eigentumsfrage noch ungeklärt war und das Geld inzwischen auf ein Treuhandkonto kam.[4. Ebd.] Die Lohnabhängigen wurden auch durch die Entwertungsstrategie der UNMIK einerseits und durch die fehlende Anerkennung als Arbeiter andererseits um ihr Geld und um ihre Sicherheit gebracht. Entwertungsstrategie bedeutet, dass die UNMIK wie im Fall des Baukombinats Ramiz Sadiku aus Pristina versuchte, den Wert der zu versteigernden Betriebe zu senken. Die Firma mit einst 5 000 Beschäftigten erhielt nach Kriegsende keine öffentlichen Bauaufträge, diese gingen an mazedonische, griechische und deutsche Unternehmen. Im inzwischen privatisierten Unternehmen Sadiku arbeiten nun noch 200 unterbezahlte Personen. »Das Ziel bestand darin, die örtlichen Betriebe abzuwerten, um sie dann für einen Apfel und ein Ei zu verhökern.«[5. Brym, Kosova: Protektorat-Kolonie und neoliberales El Dorado.] Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele der einst unter Miloševic entlassenen Beschäftigten, jahrelang ohne feste Anstellung, von der UNMIK nicht als ehemalige Arbeiter und damit Miteigentümer anerkannt wurden. So hatten sie keinerlei Ansprüche auf Abfindungen, da diese nur für diejenigen, welche die letzten drei Jahre vor Privatisierung einer Firma dort gearbeitet haben, reserviert waren. Die ausländischen Konzerne, welche im Kosovo Betriebe übernehmen, fordern in der Regel neben gesteigerter Arbeitsproduktivität und einer noch tieferen Körperschaftssteuer als in Serbien (Zehn Prozent) und Montenegro (Neun Prozent) auch Lohnsenkungen. »In den noch öffentlichen Betrieben erhält ein Arbeiter zwischen 120 und 200 Euro im Monat. Die Beschäftigten in den privatisierten Betrieben im Schnitt nur 80 Euro.«[6. Ebd.] Eine vierköpfige Familie braucht monatlich rund 350 Euro zum Leben.[7. Diese Information habe ich in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im schweizerischen Verbindungsbüro in Pristina, das eidgenössische Investitionen im Kosovo ermöglichen soll, im April 2007 erhalten.]
Die Privatisierungspolitik der UNMIK war auf einer weiteren Ebene fragwürdig: Der Industriegigant Ferronikel, der in der rein albanischen Region Drenica rund 2 000 Arbeiter beschäftigte, wurde 2005 trotz Protestdemonstrationen von Arbeitern, unterstützt von den Bürgermeistern der Gemeinden Drenas und Skenderaj, enteignet. Den zuständigen UNMIK-Stellen waren in den vorangegangenen Jahren wiederholt konkrete Pläne übergeben worden, »wie die Arbeiter selbst mit einer gewissen Anschubfinanzierung die Produktion wieder aufnehmen können«.[8. Agron Sadiku, Drenica auf den Beinen. Rebellion gegen die Privatisierung von Ferronikel, zit. nach www.labournet.de/internationales/kosovo/drenica.html, update 20. Juni 2007.] UNMIK und die Treuhandagentur AKM ignorierten dies und beharrten auf dem Verkauf. Während die Metallarbeitergewerkschaft den Wert der Anlagen auf mehr als 300 Millionen Euro schätzte, erteilte der früher im Auswärtigen Amt tätige ehemalige SPD-Fraktionsberater Rücker schließlich der britischen Firma Alferon von International Mineral Ressources den Zuschlag für 33 Millionen. Die umstrittene amerikanisch-albanische Firma Adi-Nikel hatte 49 Millionen geboten.[9. Ebd. Jürgen Elsässer zufolge bestand gegen Adi Nikel »der begründete Verdacht«, eine Briefkastenfirma der UCK-Mafia zu sein, die Schwarzgeld wäscht. Jürgen Elsässer, Die Kosovo-Saga. Das Jahr 2005 im Rückblick: Die Abspaltung der Provinz von Serbien geht Hand in Hand mit der Privatisierung der Bodenschätze, in: Junge Welt, 21. Dezember 2005.] Alferon hat den Geschäftssitz in Kasachstan, an ihr ist Thyssen-Krupp beteiligt.[10. Ralph Hartmann, Wem gehört Kosovo?, in: Ossietzky 4/2006, 18. Februar 2006, zit. nach www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Serbien-Montenegro/hartmann.html, update 20. Juni 2007.]
2006 klagten 912 Angestellte der IMK-Stahlröhren-Fabrik in Ferizaj gegen die angebliche Verschleuderung ihres Betriebes. Das Obergericht in Pristina stellte fest, dass die Fabrikanlage mindestens 25 Millionen Euro Wert sei. Die Treuhandagentur AKM, deren Vorsitz Rücker bis zu seiner Beförderung als UNMIK-Chef ab 1. September 2006 innehatte, verkaufte den Betrieb dennoch um nur 3,6 Millionen Euro.[11. Brym, Kosova: Protektorat-Kolonie und neoliberales El Dorado.] Michael Schäfer, Direktor im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik, erklärte die fragwürdige Geschäftspraxis seines Freundes Joachim Rücker damit, es werde Zeit, dass »diese Investitionen endlich politische und wirtschaftliche Rendite bringen.«[12. Hartmann, Ossietzky 4/2006, 18. Februar 2006.]
Die Pflicht zur freien Marktwirtschaft – Neoliberalismus und die Neuen Kriege
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This article was originally published in July 2011 in INTERNATIONAL – Zeitschrift für internationale Politik, Issue 2-2011.